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Gerhard B Bayern

112Vollblut
BISHER GESPENDET
17.11.2018, 11:34 Uhr

eine Passionsgeschichte - ein humoriger Beitrag

Gestern war ich wieder beim Blutspenden. Ich mache das seit meinem 18. Lebensjahr und so weiß ich, dass einem Blutspender eine gewisse Leidensfähigkeit abverlangt wird. Ich habe gelesen, dass es einen ständigen Mangel an Blutkonserven gibt und dass nur 3% der Bevölkerung zum Blutspenden gehen. Als ich vor der Schlange der Wartenden stehe, bin ich froh, dass es nur 3% sind. Für die 97%, die das Blutspende-Prozedere nicht kennen, sei Folgendes erklärt: Als Blutspender hat man eine Reihe von Kreuzwegstationen zu absolvieren, die in dramaturgischer Reihenfolge angeordnet sind bis zum finalen Shutdown mit darauffolgendem österlichem Mahl.

Station 1 – Registrierung

Zwei ständig damit beschäftigte Rot Kreuz- Mitarbeiter, die Internetverbindung ihres Registrierungsequipments nicht zu verlieren, nehmen den Blutzspendeausweis entgegen, machen mit einem altertümlichen Kopiergerät, das aus den Anfangsjahren des Blutspendewesens zu stammen scheint, eine Ablichtung und händigen mehrere Papiere aus. Seit kurzem wird verlangt, sich zusätzlich mit dem Personalausweis zu identifizieren. Beim letzten Mal wurde ich vier Mal zum Herzeigen meines Ausweises aufgefordert. Leichter betritt man den Hochsicherheitsbereich des Pentagons. Als Blutspender scheint man für das Rote Kreuz ein nicht zu unterschätzender Risikofaktor zu sein.

Station 2 – Fragebogen

Ich vergaß meine Brille, so ist es mir nur mittels Gedächtnis möglich, die in Rezeptbeilagenschriftgröße aufgelisteten Fragen nach meinem körperlichen und geistigen Gesundheitszustand, meinem Sexualleben und meinem Drogenkonsum richtig zu beantworten: Überall Nein. Ausnahme: „Waren Sie in den letzten 12 Monaten außerhalb von Deutschland?“ – Dort ein Ja.

Station 3 – ärztliche Untersuchung

Auch hier wieder eine lange Schlange vor den beiden durch Schamwände verdeckten Untersuchungsnischen.
Ein lustloser Mediziner mit dicker Brille überprüft wortlos meinen Blutdruck und meine Körpertemperatur. Rasch entdeckt er mein „Ja“ auf dem Fragebogen. Wo ich denn gewesen sei? Ich überlege mir, ob ich ihm die Geschichte erzählen solle, wie wir vor zwei Wochen von Pfronten aus mit der Breitenbergbahn hochgefahren waren und dann in wilder Fahrt mit unseren Schlitten auf österreichischer Seite wieder herunterkamen. Doch mir scheint sein Interesse an lebhaften Schilderungen meiner Urlaubserlebnisse eher gering, so sage ich nur knapp: Mittelamerika - Kuba.

Station 4 – Warten auf den Stich

Die längste Schlange befindet sich vor dem eigentlichen Spendenraum. Diese reicht quer durch die gesamte Aula. Ein Phänomen sind die anderen Blutspender. Wie die Lämmer auf der Schlachtbank sehen sie ihrem unausweichlichen Schicksal mit stoischer Ruhe ins Auge. Man hat viel Zeit, zum Nachdenken. Man unterhält sich mit seinen Nachbarn. Man erfährt Neues. Man spricht auch über Gott und die Welt, über Leben und Tod. Dankbar wird der Getränkespender angenommen, der mit in Wasser gelöstem Orangensaftkonzentrat die Wartezeit verkürzt. Nach 9 Bechern kann ich einfach nicht mehr und verspüre das dringende Bedürfnis, einen halben Liter Blut loszuwerden.

Station 5 – Labor

Endlich, ich bin drin. Nach einer Stunde Wartezeit stehe ich vor einem weißbekittelten Mann mit dickem Schnurrbart, der mich wortlos auffordert, auf dem Stuhl vor ihm Platz zu nehmen. An seiner in Falten gelegten Stirn merke ich, dass ich etwas falsch gemacht habe. „S`Babier net so zambolln“. Ich entgegne, dass das „Babier“ eine Stunde in der Schlange stehen musste und dass man ihm diese Strapazen nun eben ansehe. Meinen Scherz quittiert er mit einem spitzen Stich in die schmerzhafteste Stelle meines kleinen Fingers, aus dem sofort ein dicker Tropfen Blut quillt.

Station 6 – der Aufklebermann

Nebenan werde ich zum ersten Mal an diesem Abend freundlich begrüßt: „Grüß Gott junger Mann“. Ich fühle mich mit meinen 50 Jahren geschmeichelt und entgegne ebenso freundlich: „Grüß Gott Herr Doktor.“ Worauf erklärt mir dieser wortreich, dass er gar keinen akademischen Abschluss besitze, sondern sich nur durch einen halbtägigen Vorbereitungskurs beim Rot Kreuz auf diese Tätigkeit vorbereitet wurde. Während dieses Wortwechsels klebt er ca. 50 winzige Barcode-Aufkleber mit hoher Geschwindigkeit abwechselnd auf Papiere, kleine Beutelchen und Formulare und überreicht mir einen kleinen Blechkasten, in den er alles zuvor Beklebte hineingestopft hatte.

Station 7 - Bahre

Endlich, geschafft. Nach der langen Warterei tun mir die Füße weh und ich bin froh, mich auf eine eben frei gewordene und noch körperwarme Bahre legen zu dürfen. Eine Dunkelhaarige mit der Statur einer Kampfturnerin nähert sich mit zielstrebigem Schritt und bemalt die Beuge meines Armes mit gelb gefärbten Wattestäbchen. „Name und Geburtstag“ fordert sich mich auf. In meine Aufregung verwechsle ich Name und Geburtstag, sie lässt meine Antwort gelten und belohnt mich dafür mit einem präzise gesetzten Stoß der Nadel in meine Armbeuge. Ein kurzer Schmerz und dicht vor meinem tränenden Auge füllt sie nun verschiedene kleine Röhrchen, die mein Blut gierig in sich hinein zu saugen scheinen. Nun beginnt sich der Beutel sanft wiegend mit meinem wertvollen Lebenssaft zu füllen. Meine Kräfte schwinden, meine Wahrnehmung von Zeit und Raum schwindet. Täusche ich mich, oder sind die nach mir an die Nadel gelegten Blutspender schon fertig? Ich pumpe und quetsche ein kleines mir in die Hand gelegtes Schaumstoffbällchen nach Leibeskräften. Endlich, 500 ml meines Ichs sind nun abgefüllt in ein kleines steriles Kunststoffbeutelchen. Die Nadel wird abgenommen und der Arm so straff abgebunden, dass ein Abwinkeln des Arms oder ein Bewegen der Finger nicht mehr möglich ist.

Station 8 - Wahlkabine

Benommen und schwankend erhebe ich mich von der Bahre und bestätige auf einem Zettel, den ich während des Spendevorgangs hätte lesen sollen, dass mein Blut verwendet werden darf. Diesen werfe ich in einer Art Wahlkabine in ein mit einem Vorhängeschloss versehenes Holzkästen (eine Art Wahlurne). Dabei frage ich mich, wer wohl diese Strapazen auf sich nimmt, um dann ein „Nein“ anzukreuzen.

Station 9 – Brotzeit

Endlich kommt der angenehme Teil des Abends. Der erlittene Blutverlust muss unverzüglich mit festen und flüssigen Nahrungsmitteln ausgeglichen werden. Ich stelle mir die dick belegten Wurstbrote, saftigen Gurkenscheiben, knackigen Wienerle, den herzhaften Wurstsalat mit dicken Zwiebelringen und dazu einen frisch dampfenden Kaffee vor. Das Wasser läuft mir im Mund zusammen. Leider bin ich zu spät. In einer Tupper-Tortenhaube grinst mir ein trauriges Restlein Käsebrote entgegen. Auch Teller und Tassen gibt es keine mehr, wie mir der eifrige Rot-Kreuz Praktikant an der Küchentheke erklärt. Entmutigt knabbere ich an meinem auf einem Pappteller servierten trockenen Käsebrötchen.

Station 10 - Gabentisch

So viel Spendenbereitschaft muss belohnt werden. So darf ich mir beim Hinausgehen vom Gabentisch ein Geschenk auswählen. Ich schwanke zwischen 250g Spiralnudeln (Ladenpreis: 69c), einem Feuerzeug (Ladenpreis: 89c) und einem Toskana Reiseführer (Erscheinungsjahr 1998). Neidisch blicke ich auf die rechte Seite des Gabentisches, wo die Geschenke für die 100ste, 200ste und 500ste Blutspende präsentiert werden:
Ein Kugelschreiberset mit Etui, ein Eiskratzer mit Handschuh und ein Bleikristallschüsselchen. Ob ich es jemals so weit bringen würde? Nach langem Überlegen entscheide ich mich für den italienischen Rotwein einer mir unbekannten Marke, den ich noch heute Abend mit meiner Frau trinken werde.

Station 11 – wieder daheim

Nach über zweieinhalb Stunden bin ich wieder zu Hause. Beim Öffnen des Weins merke ich, dass ich Balsamico erwischt habe.

Nächstes Mal komme ich wieder.

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Team Bayern
19.11.2018, 11:06 Uhr

Hallo Gerhard, vielen Dank für Deine Blutspende-Passion! Das kam mir doch gleich etwas bekannt vor und ich erinnere mich an einen Beitrag von Dir aus dem Frühjahr ;-) Toll, dass Du so engagiert bei der Sache bist und Dich die zahlreichen Stationen und Erlebnisse immer wieder zur Blutspende kommen lassen! Vielen Dank für Deinen Einsatz als Blutspender & als Autor! Viele Grüße, Fabienne vom BSD

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Markus G
Bayern
18.11.2018, 15:41 Uhr

Ich hatte bei meiner letzten Spende alles in 50 Minuten erledigt. Dann ging es zur Verpflegung und abschließend zu den Geschenken.
Aber ich habe dem BRK-BSD schon einmal den Verbesserungsvorschlag gemacht, beim Fragebogen etwas zu erleichtern: "Wenn alles mit nein zutrifft, bitte oben rechts nein ankreuzen und weiter geht´s zum Arzt. Das würde schon 3 Minuten pro Spender sparen. Davon waren sie nicht gerade begeistert.......

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Peter K
Bayern
18.11.2018, 10:38 Uhr

Respekt! Die Blutspende als Leidensgeschichte darzustellen ist wirklich originell. Da wird manchmal ganz schön was abverlangt und trotz "Balsamico" machen wir immer weiter. Herzlichen Glückwunsch und weiter so!

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Wolfgang M
Hamburg
17.11.2018, 21:29 Uhr

Sehr lustig geschrieben 😊 Abhandlung, was mir mal passiert ist: Es gab für alle Spender eine Powerstation. Mein Neffe (ist noch zu jung um zu spenden) wollte die unbedingt haben. Während der Spende wurde die Station mir gegeben und nach der Spende nahm ich sie mit zum Imbiss. Zuhause merkte ich, dass ich sie beim Imbiss habe liegen lassen !!! Was für ein Mist !!!

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Jutta L
Nordrhein-Westfalen
17.11.2018, 17:14 Uhr

Sie haben mir den Tag erheitert 😊Toll geschrieben!!! Und so manche Sachen kommen mir sooo bekannt vor!

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Stephan R
Bayern
17.11.2018, 12:31 Uhr

Sehr schön geschrieben. Ich stand da wohl hinter dir, in der Warteschlange der Blutspendermasochisten.
Ich komm dann doch auch immer wieder.

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